
Kosmopolitische Klangvisionen
Vor der Flucht ins Exil noch einmal durch die Heimatstadt gehen. Aus der Froschperspektive von „Morton’s Foot“ begleitet die Musik von Rabih Abou-Khalil diesen Abschied über Märkte und Plätze, durch Strassen und Parks. Folgt den Fussabdrücken in rasanten Unisono-Motiven, die Gavino Murgia mit seinem Gesang im Sub-Kontrabass-Register zur Hochspannung bringt. Der phänomenale Vokalist aus Sardinien färbt die Muster dieser klingenden Art Deco Geometrie auf bisher ungehörte Weise mit multiphonics aus Obertönen zu verwirrender Mosaiken.

Ohnehin hat Rabih Abou-Khalil die zehn Episoden um „Morton’s Foot“ als sinnliche kosmopolitische Erlebnisse gestaltet. Unregelmässige Rhythmen pulsieren um die dichten Liniengeflechte aus arabischen Skalen. Kurze Melodien werden wie bei „L’histoire d’un Parapluie“ gedehnt, halten inne, um sich dann beschleunigt zu drehen und in unerwarteter Richtung zu verschwinden. In diese Szene schmuggelt Akkordeonist Luciano Biondini Tango-Andeutungen ein. Oder Gabriele Mirabassi holt mit der Klarinette Klezmer-Sehnsüchte zu „Il Ritorno del Languore“. Die intensiven grooves trommelt Jarrod Cagwin in schwebenden Partikeln, die Michel Godard an der Tuba verstärkt. Der Oud von Rabih Abou-Khalil bleibt dem präzis balancierten Gruppensound untergeordnet, doch wenn er ein Solo spielt, dann steigert sich die fein geformte Poesie seiner Musik zur leidenschaftlichen Virtuosität. In „Morton’s Foot“ sind Klangvisionen fürs 21. Jahrhundert zu erkennen.
Ich hatte das große Vergnügen, am Wochenende diese CD an einer wirklich formidablen Gesamtanlage hören und genießen zu dürfen. Ein unbedingter Kauftipp von mir. Die Stimmakrobatik, die Interpretation und Instrumentierung ist einfach fabelhaft.
Gruß
Franz